Wir entsinnen uns, heute vor 5 Jahren, verstarb nach schwerer Erkrankung im Lebensalter von 71 Jahren Reinhard Kißro, der weithin bekannte Heimatforscher, ein Sohn Ortrands.
Ich möchte im folgenden auf seine Verdienste für die heimatliche Erforschung eingehen.
Reinhards Interesse für Land und Leute begann schon in seinem Kindesalter.
Bereits als Jugendlichen machten seine stattliche körperliche Erscheinung, sein stets gepflegtes Äußeres wie auch seine freundliche, gefällige Art Reinhard leicht, Beachtung und Aufmerksamkeit von Fremden als auch Freunden und Bekannten zu finden.
Bei zahllosen Gesprächen sammelte er wissbegierig im Laufe der Jahre akribisch eine Unmenge historischer Daten und Fakten zur Stadtgeschichte und des umgebenden ländlichen Raumes.
Umfangreiche Kenntnisse erwarb er bei seiner ehrenamtlichen Arbeit als Bodendenkmalpfleger und kam so mit der archäologischen Fachwelt schon früh in Berührung. So fand er bei archäologischen Erkundungen und Ausgrabungen namentlich um Großkmehlen, Hirschfeld und Kroppen viel Beachtung unter Fachleuten.
Reinhard traf man gewöhnlich jeden Montag ab 17.00 Uhr im Ortrander Stadtgeschichtsmuseum an, dessen Leitung ihm oblag.
Er beschränkte sich bei seinen musealen Studien nicht nur auf die Auswertung der Regionalliteratur, sondern unternahm auch langjährige und intensive Akteneinsicht in den Staatsarchiven Dresden sowie seiner Außenstelle Bautzen und natürlich im Stadtarchiv Ortrand, wobei die hiesige Region der Großenhainer Pflege und der westlichen Oberlausitz im Vordergrund standen.
Sein umfangreiches historisches Wissen schöpfte er namentlich aus seiner beeindruckenden privaten Bibliothek.
Reinhards breit gefächertes Heimatinteresse wird auch insoweit deutlich, als er langjährig als Mitglied im Naturschutz- und Parkaktiv Ortrand wirkte und zahlreiche Pflegeeinsätze im Naturschutzgebiet „Pulsnitz“ und anderswo initiierte, wobei er selbst aktiv diese Arbeiten begleitete.
Seine erworbenen Kenntnisse für sich zu behalten, entsprach nicht Reinhards Naturell. Auf seine sehr zahlreichen Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Heimatkalendern und Fachpublikationen möchte ich besonders verweisen.
Hervorzuheben ist im Jahr 1988 das von ihm betriebene Erscheinen der Jubiläumsschrift zur 750-Jahrfeier der Stadt Ortrand, die er allen damaligen ideologischen Widerständen zum Trotz auf den Weg bringen konnte.
Reinhard Kißro nahm mehrfach an den internationalen namenkundlichen Symposien in Leipzig teil, so 1987 und 1989.
In diesem Zusammenhang entstand seine namenkundliche Veröffentlichung über Ponickau in den Namenkundlichen Informationen der Universität Leipzig.
Im Jahr 1989 folgte seine Publikation in Geschichte und Gegenwart des Bezirkes Cottbus 24/25 über einen von ihm entdeckten Ersterwähnungsbeleg, welche das Dorf Großthiemig daraufhin veranlasste, ein 600-Jahre-Ortsjubiläum wesentlich früher zu feiern.
1991 initiierte Reinhard die Neugründung des Heimatvereins „1912“ für Ortrand und Umgebung e.V.
In den Folgejahren erschienen zwei Bücher über Ortrand in historischen Fotografien und Ansichten.
Reinhard hielt sich seit seiner Jugendzeit gern in südlich und östlich benachbarten Landstrichen wie Böhmen und Mähren sowie West- und Ostpreußen, Posener Land, Hinterpommern und Schlesien als auch Ostsachsen auf, als deren profunder historischer Landeskenner er zunehmend Anerkennung erwarb.
Er organisierte seit 1993 die Weißenhöher Himmelfahrt nach Westpreußen zum Usch-Nakeler Netzebruch einschließlich legendärer Dampferfahrten in der Netze und im Bromberger Kanal.
Bei diesen Weißenhöher Himmelfahrten nahmen alljährlich Heimatfreunde und Heimatvertriebene aus Nah und Fern an den bestens von ihm organisierten landeskundlichen Wanderungen zu Landschaften, Schlössern, Burgen und Städten teil.
Bei einer dieser Tagungen begleitete ihn Ralf Uschner, Museumsleiter in Bad Liebenwerda, wobei die dortige Stadt Lobsens und das Gut Bagdad im Fokus standen, die frühen Lebensstätten des späteren Heimatforschers Ernst Seyler in Hirschfeld am Schraden.
1994 initiierte Reinhard die mehrtägige internationale Dr.-Karl-Eduard-Zachariae von Lingenthal-Tagung in Ortrand, Großkmehlen und Lindenau. Hierbei wurden Vorträge in griechisch, französisch, englisch und weiteren Sprachen gehalten.
Großkmehlen wurde sozusagen kurzzeitig zum Hotspot der römischen Rechtsgeschichte, die Lingenthal seinerzeit erforschte, nach dem ja auch die Ortrander Schule benannt wurde.
Reinhard wirkte mit am von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen landeskundlichen Handbuch „Der Schraden“, Landschaften in Deutschland, Werte der deutschen Heimat, Band 63, welches aufgrund unerwarteter Nachfrage in 2. Auflage gedruckt wurde und auf der Frankfurter Buchmesse viel Beachtung fand.
Er arbeitete auch mit am Jubiläumsband Nr. 70 (Großenhainer Pflege) dieser Buchreihe.
Alle diese Bücher sind seit langem vergriffen, welches für die außerordentlich hohe Qualität dieser grundlegenden gebietsmonographischen Werke spricht.
Hauptsächlichen Anteil hatte Reinhard am Zustandekommen und Fortbestand des Großenhainer Stadt- und Landkalenders.
2010 regte Reinhard Kißro das dreitägige überregionale Symposium anlässlich der Ersterwähnung des Schradenwaldes mit dem Thema „800 Jahre Schradenwald“ an. Zwei Jahre später (2012) fand in Großkmehlen das von ihm initiierte zweite Internationale Dr.-Karl-Eduard-Zachariae- von-Lingenthal-Symposium statt, bei dem Teilnehmer aus mehr als 20 Ländern verschiedener Kontinente vornehmlich der historischen Rechtswissenschaften mehrsprachige Vorträge hielten.
Reinhard Kißro war Mitglied und Organisator zahlreicher Fachexkursionen des 1990 wieder ins Leben gerufenen Landesvereins Sächsischer Heimatschutz e.V., dessen Mitgliedern er die hiesigen Grenzgebiete im Spannungsfeld der beiden Lausitzen und der Mark Meißen näherbrachte.
Reinhard knüpfte Kontakte zu Museen der Umgebung, insbesondere zu den Kreismuseen Bad Liebenwerda und Senftenberg. Insbesondere zu Ralf Uschner verband ihn eine langjährige, herzliche Freundschaft. Zahlreiche Aufsätze im Liebenwerdaer Heimatkalender erinnern an diese Zeit.
Bei all seinen Unternehmungen war Reinhard stets Vorbild und Beispiel bei der exakten, minutengenauen Planung seiner Exkursionen, Tagungen oder anderweitigen Unternehmungen.
Er kam stets bestens präpariert zu den von ihm geplanten Veranstaltungen.
Sein phänomenales Gedächtnis an historischen und landeskundlichen Daten beeindruckte Mitreisende bei seinen zahlreichen Exkursionen in Mittel- und Osteuropa. Als Exkursionsführer glänzte und überzeugte er durch seine qualifizierten Wortbeiträge, gestützt auf seinen Karteikartenfundus und umfassender Vorbereitung durch intensives Literaturstudium.
Überaus kenntnisreich zeigte er sich bei Kirchenführungen, insbesondere bei den biblischen, allegorischen Darstellungen.
Bei all diesen, seinen persönlichen Leidenschaften hatte er aber zunehmend mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.
Zuletzt erwies sich seine Erkrankung stärker und seine Kraft erlosch.
Vorbei sind die wöchentlichen Fachsimpeleien zu Geschichte und Gegenwart mit ihm, die wir schmerzlich vermissen. Uns fehlt in der heutigen bewegten Zeit sein Rat und seine Sicht zu den Dingen, die uns aktuell bewegen und bei denen die Welt aus den Fugen zu geraten scheint.
Uns Hinterbliebenen bleibt letztlich die dankbare Erinnerung an diese in jeder Hinsicht beispielhaften und herausragenden Persönlichkeit Ortrands!
Vielen Dank für Ihre, eure Geduld beim Zuhören.